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Der Mülsengrund im Überblick von Ulrich Blauhut

Der Mülsengrund ist ein dicht bebautes Seitental der Zwickauer Mulde im Südwesten des Freistaates Sachsen. Er gehört zum Landkreis Zwickauer Land.

Auf einer Länge von rund 17 Kilometern durchfließt der Mülsenbach in nordwestlicher Richtung das Tal. Die Höhen über Ortmannsdorf liegen 430 - 480 m ü. NN; die Einmündung des Baches in die Mulde bei 245 m ü. NN.

Geographisch gesehen wird der Mülsengrund zum westlichen Teil des Erzgebirgischen Beckens gerechnet. Hier überdecken die Mülsener Schichten des Oberrotliegenden große Teile des Unterrotliegenden. Diese Schichten bestehen aus kleinstückigen Konglomeraten. Besonders im Herbst und im Frühjahr, wenn der Boden bei feuchtem Wetter frisch aufgeackert wird, kann man das kräftige Rotbraun dieser feinsandigen, lehmig-tonigen Böden wahrnehmen. Sie haben mittlere bis mäßige Qualität. Charakteristisch sind die schluchtartigen Seitentälchen, durch die besonders die linke Talseite gegliedert wird. Sie wurden jahrhundertelang von den Bauern als Niederwald genutzt. Diese kleinteilige Kulturlandschaft mit ihren eigenen Reizen ist in erster Linie auf die unermüdliche bäuerliche Arbeit ungezählter Generationen zurückzuführen.

Der Name des Bachlaufes war schon lange bekannt, bevor deutsche Bauern in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts das Seitental der Zwickauer Mulde besiedelten. Die wenigen archäologischen Funde im Mülsengrund lassen jedoch den Schluß zu, daß eine durchgehende Besiedelung in ur- und  frühgeschichtlicher Zeit nicht stattgefunden hat.

Das Flüßlein Mülsen - rivulus Milsena - wird 1118 in der lateinischen Stiftungsurkunde der Zwickauer Marienkirche als Ortsgrenze des Kirchenbezirkes genannt: Von seiner Quelle bis zur Einmündung in die Mulde. Die uralte indoeuropäische Silbe "mil" - im Sinne von mahlen, zerreiben - liegt sicherlich dem Namen Mülsen zugrunde. Die Bezeichnung des Gewässers hat sich sowohl auf den gesamten Talgrund als auch auf die Mehrzahl der Ortsnamen übertragen. Drei davon unterscheiden sich durch beigegebene Namen von Heiligen: Das Mülsen des heiligen Nicolaus, des heiligen Jacobus und des heiligen Michael. Im Gegensatz zu Niedermülsen hat sich ein Obermülsen im Ortsnamen nicht festgeschrieben. In der Umgangssprache jedoch galten Mülsen St. Jacob und Mülsen St. Niclas von altersher als Oberdorf bzw. Obermülsen. Im 18. Jahrhundert bezeichnete sich beispielsweise der Seelsorger Gottlob August Werner, der für diese beiden Orte zuständig war, als "Pastor zu Ober Mülßen St. Niclas und St. Jacob". Das Dorf an der Quelle des Mülsenbaches hat uns interessanterweise den Namen des Mannes im Ortsnamen überliefert, der das Siedelwerk geleitet hat: Ortwin oder Ortmann. Thurm hingegen bezog seinen Namen vom markant aufragenden Bauwerk der Befestigungsanlage, die beim Landesausbau eine hervorgehobene Rolle spielte. Endlich Stangendorf leitet sich vermutlich vom sächsischen Adelsgeschlecht Stange her, das nachweislich im Zwickauer und Altenburger Raum Besitzungen hatte. Die ganz unterschiedlichen Formen der Ortsnamen deuten auf verschiedene Siedlergruppen vorrangig aus Thüringen, Franken und der Oberpfalz hin.

Die deutschen Bauern rodeten in harter, aufopferungsvoller Arbeit den Urwald. Sie legten nach Art ihrer Väter die Ortschaften als zweiseitige Reihendörfer mit Waldhufenflur an. Die Aktivitäten dazu gingen aber nicht - wie ursprünglich geplant - von Zwickau aus, sondern von den Herren von Schönburg sowie den Burggrafen von Meißen als Besitzer der Grafschaft Hartenstein. Auch das Rittergut Thurm ist in der Kolonisationszeit entstanden. Seine Blockflur lag geschlossen für sich; daneben die Hufen der wenigen Bauern. Der Neudörfler Rittersitz ist vermutlich anfangs als kleines wildenfelsisches Vorwerk zu sehen. Allgemein besteht die Annahme, daß es der Stammsitz der Herren von Ortmannsdorf war, obwohl er relativ weit vom Dorf entfernt liegt. Erst 1447 taucht der Ortsname Neudörfel in einem Kaufvertrag auf. Da Mangel an Frönern und Gesinde herrschte, ließ Heinrich von Geilsdorf von 1569 an Gutshäuser in die Nähe des Rittersitzes bauen.

Der Mülsengrund hat noch längst nicht alle Geheimnisse seiner Geschichte preisgegeben. So wirft beispielsweise das Zueinander von Mülsen St. Niclas und Mülsen St. Jacob Fragen auf. 1406, als der Burggraf Heinrich von Meißen die Grafschaft Hartenstein an Veit von Schönburg veräußert, wird nur "das Dorf zu der Milsen" genannt. (In anderer Lesart der Quelle: "...das Dorff zu den Mülßen...").

Noch 1493 unterscheidet man im Schönburgischen Erbzinsregister nicht eindeutig zwischen den beiden Mülsen-Dörfern. Auch steht die Kirche von Mülsen St. Jacob als einzige des Mülsengrundes nicht in der Ortsmitte. Sie hatte bis 1795 keinen eigenen Pfarrer. Ebenso außergewöhnlich ist der Standort ist der Standort des Niclaser Erbgasthofes an der Grenze zu Mülsen St. Jacob. War hier der Plan aus der Besiedelungszeit nachträglich abgeändert worden?

Mit dem schon erwähnten Erwerb der Grafschaft Hartenstein war nunmehr fast der gesamte Mülsengrund in den Besitz der Herren von Schönburg gekommen. Lediglich in Ortmannsdorf hatten sie nur anteiligen Besitz. Eine starke verwaltungsmäßige Zersplitterung zeigte sich allerdings in der Zugehörigkeit der Mülsengrunddörfer zu den einzelnen schönburgischen Herrschaften und Ämtern: Der kleinere Teil von Ortmannsdorf, der nicht zur Herrschaft Wildenfels gehörte, sowie Neudörfel wechselten die Zugehörigkeit zwischen den Ämtern Lichtenstein, Hartenstein, Stein und anderen. Die Bewohner von Mülsen St. Niclas und Mülsen St. Jacob waren mit Zinsen, Naturalabgaben und Frondiensten sowie in rechtlichen und kirchlichen Angelegenheiten - mit Ausnahme des lichtensteinischen Anteils im Niederdorf von Mülsen St. Jacob - der Herrschaft Hartenstein untertan. Mülsen St. Micheln und Stangendorf wiederum gehörten zur Herrschaft Lichtenstein. Kirchlich, und damit auch schulisch war Stangendorf allerdings nach Thurm gewiesen, wobei eine vorreformatorische Zugehörigkeit zu Mülsen St. Micheln nicht auszuschließen ist. Niedermülsen war der Rittergutsherrschaft Thurm verpflichtet; wenige Untertanen aber der Herrschaft Glauchau. 1382 verkaufte die böhmische Linie der Schönburger die Mannschaft zum Thurm zusammen mit Lichtenstein ihrer Glauchauer Verwandten. Diese belehnten die von Meckau und ab 1489 die Herren von Weißenbach mit der Rittergutsherrschaft samt eigener Gerichtsbarkeit.

In den ersten Jahrhunderten waren die Kommunen reine Bauerndörfer.

Im 16. Jahrhundert begann sich ganz allmählich durch die Bildung von Gärtneranwesen und den Bau von Häusern "auf der Gemeinde" das Bild der ursprünglichen Siedlungsstruktur zu verändern. In dieser Zeit liegen die Anfänge der gewerblichen Hausweberei. Nach der ungeliebten Innungs-Ehe mit den Hartensteiner Webern erzwangen die Mülsener Meister ab 1781 eine eigene Innung.

Von Abgeschiedenheit der Bewohner des Mülsengrundes kann im Laufe ihrer Geschichte keine Rede sein. Durch die nahegelegenen Paß- und Salzstraßen ins fruchtbare Böhmen und die Handels- und Heerstraße, die von Nürnberg bzw. Regensburg über Hof und Zwickau nach Dresden führt, hing der Mülsengrund gleichsam an der großen, weiten Welt. Freilich waren solche Fernverbindungen in Kriegszeiten verheerend: Besonders während der Hussitenzüge, im Dreißig- und Siebenjährigen Krieg oder den Napoleonischen Feldzügen. Der namhafteste Feldherr war wohl Napoleon, der am 16. Mai 1812 den Mülsengrund in Richtung Dresden durchquerte. Genau 50 Jahre vorher war der Preußenkönig - der Alte Fritz - hier durchgezogen. Auch die Besuche der Märkte im überregional bedeutsamen Zwickau bzw. in den Residenzstädtchen Hartenstein, Lichtenstein und Glauchau waren Umschlagplätze unterschiedlichster Geschäfte und Informationen.

Das 19. Jahrhundert ist gekennzeichnet von enormen wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen: Durch die Errichtung von mehreren Spinnmühlen, den Übergang zur mechanischen Weberei sowie der industriellen Gewinnung der Steinkohle. Die Einwohnerzahlen stiegen sprunghaft an. August Bebel, der auch mit den Stimmen der Bewohner des Mülsengrundes mehrmals in den Deutschen Reichstag gewählt wurde, hat mit seiner Schrift "Wie unsere Weber leben" ein wichtiges Zeitdokument hinterlassen. Diese Jahrzehnte sind aber auch geprägt durch die Chaussierung der Dresden-Hofer Straße, durch Kinderarbeit und den Niedergang der Innungen, durch den Kampf um die "Bimmelbahn" und von der Errichtung von Web- und Strumpffabriken an der Schwelle zum neuen Jahrhundert.

Zwischen den beiden Weltkriegen schließlich veränderten sich in noch nie dagewesener Schnelligkeit die "Gesichter" der Mülsengrunddörfer sowie das Leben seiner Bewohner. Scheinen auch diese Zeiten tiefste Vergangenheit zu sein, so liegen doch hier unsere Quellen und Wurzeln, mit denen wir in die Zukunft gehen.

Quelle: "Der Mülsengrund in historischen Abbildungen"